nächtens



Chormusik der Romantik


Die Konzerte dieses Projekts fanden im September und Oktober 1997 in der Luisengemeinde in Berlin-Charlottenburg und im Fontanehaus in Berlin-Reinickendorf statt. Am Klavier wie schon in früheren Projekten als Organist Arno Schneider. Die Solopartien wurden von Catrin Fischer und Achim Peters übernommen.


Das Programm

Johannes Brahms
Drei Gesänge für sechsstimmigen Chor a cappella op. 42
Abendständchen (Brentano)
Vineta (Müller)
Darthulas Grabgesang (nach Ossian von Herder)

Joseph Rheinberger
Um Mitternacht (Mörike)

Fanny Hensel
Lockung (Eichendorff)

Felix Mendelssohn-Bartholdy
Neue Liebe (Heine)
Der Mond (Geibel)
Schlafloser Augen Leuchte (Byron)
Andres Maienlied/Hexenlied (Hölti)
Tenor: Achim Peters
Klavier: Arno Schneider

Johannes Brahms
aus: Sieben Volkslieder für Vorsänger, Chor und Klavier
Es saß ein schneeweiß Vögelein (Nr. 3)
Es war einmal ein Zimmergesell (Nr. 4)
Verstohlen ging der Mond auf (Nr. 8)

Johannes Brahms
Die Mainacht (Hölti)
Von ewiger Liebe (Wenzig)
Sopran: Catrin Fischer
Klavier Arno Schneider

Johannes Brahms
Quartette für vier Singstimmen mit Klavierbegleitung
Wechsellied zum Tanz (Goethe) op. 31 Nr. 1
Der Abend (Schiller) op. 64 Nr. 2
Spätherbst (Allmers) op. 92 Nr. 2
Nächtens (Kugler) op. 112 Nr. 2


Hier ein Auszug aus dem damaligen Programmheft:
Nachdem der Kronenchor in seinen vorherigen Projekten Chormusik der Renaissance bzw. der Gegenwart vorgestellt hat, steht in diesem Konzert nun die Romantik im Mittelpunkt

In der Literatur und Musik des 19. Jahrhunderts verschob sich das Verhältnis zwischen Verstand und Gefühl immer stärker zur Gefühlsebene hin. Die Musik wurde durch Romantisierung und Poetisierung mit außermusikalischen Inhalten gefüllt, einem Gefühl, einer Idee oder einem Programm.
Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft wurde Europa auf dem Wiener Kongreß 1814/15 neu aufgeteilt. Die alten Monarchien lebten wieder auf. Die Zeit der Restauration begann. Hoffnungen auf mehr Freiheit und Mitbestimmung vieler Freiwilliger in den Befreiungskriegen wurden dadurch enttäuscht. In Deutschland folgte die Zeit des Biedermeier, die durch einen Rückzug ins Private gekennzeichnet war. Musik, Kunst und Unterhaltung enfalteten sich in privaten Salons, z. B. der Bettina von Arnim, Rahel von Varnhagen, Lea Mendelssohn und Fanny Hensel

Im Zentrum dieses Konzerts stehen Werke von Johannes Brahms (1833-1897), dem die romantische Chormusik wichtige Impulse verdankt. Die Vokalmusik und speziell die Chorwerke nehmen im Gesamtschaffen von Brahms eine hervorragende Stellung ein. Die bürgerliche Chormusik hatte sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem so wichtigen gesellschaftlichen Faktor entwickelt, daß kaum ein Komponist sich ihrem Einfluß entziehen konnte.

So wurde auch für Brahms die Chorbewegung bedeutsam. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Chören (u.a. Detmolder Hofchor, Hamburger Frauenchor) ermöglichte ihm Erfahrungen als Chorleiter und gab ihm einschneidende Impulse für sein Schaffen. Durch das vertiefte Studium der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts erhielt er außerdem Anregungen zur Komposition von a-cappella-Chorsätzen, die für ihn zum Gradmesser kompositorischen Könnens wurden.

Die ‘Drei Gesänge für sechsstimmigen Chor a cappella op. 42’ zählen zu den frühen Werken Brahmsscher Chorlyrik. Gattungsspezifisch bedeutsam sind sie, weil Brahms in ihnen systematisch die in geistlichen Werken beobachteten und erprobten Verfahren, Modelle und Materialien auf die Vertonung weltlicher Lyrik anwendet und so den Rahmen des Chorliedes erheblich erweitert.
Die Vertonung von Brentanos ‘Abendständchen’ (op. 42,1) ist der erste der ‘Drei Gesänge’. Anhand der Vertonung wird deutlich, daß dieses Gedicht für Brahms trotz seiner schlichten Form kein einfaches Volkslied ist. Die Komposition ist geprägt von den Assoziationen, die durch den Komplex der Farben, Klänge und Bewegungen im Text ausgelöst werden.
‘Vineta’ (op. 42,2) basiert auf der Sage einer geheimnisvollen, im Meer versunkenen Stadt. Es tauchen ungewöhnliche Wendungen auf, z. B. Ganztonfolgen (‘Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde…’), die eine geheimnisvolle Atmosphäre schaffen.
In ‘Darthulas Grabgesang’ (op. 42,3) erreicht Brahms durch ein ständiges Wechselspiel der Chorgruppen eine Art Dialog, der gleichsam dramatische Züge erhält.

Entscheidend für die Entwicklung des Chorliedes war sein Ausgangspunkt: das Volkslied, die Gattung, in der sich – zumindest nach der wesentlich von Herder beeinflußten Ästhetik der Romantiker – Natur und Kunst noch in ungeteilter Einheit befanden. Brahms hat sich zu dieser romantischen Ästhetik des Volksliedes bekannt. Zugleich deuten seine Volksliedbearbeitungen ‘Es saß ein schneeweiß Vögelein’, ‘Es war ein Zimmergesell’ und ‘Verstohlen geht der Mond auf’ darauf hin, daß für ihn jene ursprüngliche, naive Einheit von Natur und Kunst von Anfang an mehr Sehnsucht als greifbare Realität war.

Die ‘Quartette für vier Singstimmen mit Klavierbegleitung’ sind zur unterhaltenden Gesellschaftsmusik im damaligen Sinne zu zählen. Brahms hat sich Zeit seines Lebens mit dieser Gattung beschäftigt und dabei durchaus zukunftsweisende Kompositionstechniken entwickelt. Dies zeigt sich beispielsweise in ‘Nächtens’ in dem eigentümlich unruhigen 5/4-Takt und dem durchgehaltenen Klaviertremolo. Zu hören sind vier Quatette aus unterschiedlichen Schaffensperioden: ‘Wechsellied zum Tanz’, ‘Der Abend’, ‘Spätherbst’ und ‘Nächtens’.

Von den anderen Komponisten soll hier Fanny Hensel (1805-1847) besonders erwähnt werden, weil sie in vielen Musiklexika immer noch stiefmütterlich behandelt wird. Ihr gelang es, neben ihren häuslichen Pflichten als Ehefrau und Mutter, als hilfsbereite Tochter und als Schwester Felix Mendelssohns, zu dem sie zeitlebens ein enges freundschaftliches Verhältnis hatte, als Pianistin, Komponistin und Dirigentin zu wirken. Die Öffentlichkeit für ihre Werke fand sie im Rahmen der Sonntagsmusiken im Elternhaus, die sie ab 1832 leitete.
‘Lockung’ nach einem romantischen Gedicht Eichendorffs entstand 1846, ein Jahr vor ihrem Tod. In neuen Veröffentlichungen wird das Stück zu den ‘Gartenliedern’ gezählt, die Fanny als op. 3 1847 selbst in Druck gab.

Romantiker wie Brahms, Mendelssohn oder dessen Schwester Fanny Hensel ließen sich von lyrischen Texten verschiedener Epochen zu Vertonungen animieren. So finden sich neben ausgewiesenen Romantikern (Brentano, Eichendorff) auch die Klassiker Goethe und Schiller sowie eine Reihe heute weniger bekannter Dichter.

Thematisch lassen sich die Texte im weitesten Sinne drei Bereichen zuordnen.
Der erste umfaßt volksliedhaft Texte, in denen kleine Geschichten, z. B. über Liebe und Tod erzählt werden (‘Wechsellied zum Tanz’, ‘Zimmergesell’). Die Rückbesinnung auf volkstümliche Kultur war eines der Hauptanliegen der Romantiker (vgl. etwa die Sammlung von Volksmärchen durch die Gebrüder Grimm und die Liedsammlung ‘Des Knaben Wunderhorn’ von Brentano und Arnim).
Ein weiteres Charakteristikum der romantischen Lyrik ist die Betonung des Stimmungsvollen und gelegentlich Gefühlsschwangeren. Dazu gehören so schlichte Texte wie das ‘Abendständchen’ von Clemens von Brentano, aber auch solche, die die dunkleren Seiten des Lebens – Nacht, Einsamkeit und Tod – ansprechen.
Schließlich inspirierte die Auseinandersetzung mit mythischen und mythengleichen Stoffen die Komponisten vielfach zu Vertonungen (‘Der Abend’, ‘Vineta’). Bemerkenswert ist insbesondere der Herdersche Text ‘Darthulas Grabgesang’. Grundlage für Herder war die Dichtung von James Macpherson, einem englischen Lyriker, der vorgab, alte Sagen aus dem Gälischen übersetzt zu haben, die er aber tatsächlich erfunden hatte. Diese ‘Ossianische Dichtung’ fand mit ihrer düster-rauhen Natur- und Landschaftsschilderung in Deutschland schnell Verbreitung. So läßt auch Goethe seinen Werther sagen: ‘Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt’.



Das 8. Projekt des Kronenchors