Wie liegt die Stadt so wüst



Gastdirigentin: Marie-Louise Poeschel (später Schneider)


Das Projekt schloss mit zwei Konzerten im Februar 2000. Aufgeführt wurde es in der Johanniskirche in Berlin-Moabit und in der Hoffnungskirche in Berlin-Pankow.


Heinrich Schütz
Lobe den Herren, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Guts getan hat
(SWV 39, Der 103. Psalm, Konzert)

Johann Hermann Schein
Der 116. Psalm

Felix Mendelssohn Bartholdy
Warum toben die Heiden
Der 2. Psalm, op. 78 Nr. 1 für Chor und Solostimmen

Wilhelm Weismann
Psalm CXXI
für sechsstimmigen Chor a cappella

Rudolf Mauersberger
Wie liegt die Stadt so wüst
(Klagelieder Jeremiae)

Heinrich Schütz
Ich will den Herren loben allezeit (Kleine geistliche Konzerte)
Catrin Fischer (Sopran)

Heinrich Schütz
Eile mich Gott (Kleine geistliche Konzerte)
Achim Peters (Tenor)

Johann Schop
Jauchzet dem Herren
Catrin Fischer (Sopran), Achim Peters (Tenor)

Andreas Hammerschmidt
Wie der Hirsch schreiet
Catrin Fischer (Sopran), Achim Peters (Tenor), Andreas Wallbaum (Bass)

Hugo Distler
Es ist ein köstlich Ding, dem Herren danken
Achim Peters (Tenor)

aus dem Programmheft:
Heinrich Schütz (1585-1672) gilt als einer der grössten Meister barocker Kirchenmusik, die erst mit ihm nach einem ersten Höhepunkt um 1500 (H. Finck und T. Stoltzer)wieder zu europäischer Geltung fand.
Zunächst Student der Rechte, bildete er sich in den Jahren 1609 bis 1612 auf Kosten und Veranlassung des Landgrafen Moritz von Hessen bei G. Gabrieli in Venedig zum Musiker aus. Bei seinem zweiten Studienaufenthalt in Venedig begegnete er 1628/29 Claudio Monteverdi.
Seine venetianischen Vorbilder wirkten auch beim ersten grossen Werk des Meisters in deutscher Sprache, den mehrchörigen Psalmkompositionen mit Instrumenten.
Für das Konzert “Lobe den Herren, meine Seele” bildete Schütz zwei “Capell-Chöre” und zwei “Favorit-Chöre”. Daneben sind “Voci Sole” zu hören. Unter Favorit-Sängerinnen und -Sängern versteht der Komponist ausgesuchte Kräfte, die der Kapellmeister “auffs beste und lieblichste ausstellen” soll.
Alle Einzel- und Chorstimmen sind auf den das ganze Werk begleitenden Generalbass (basso continuo) bezogen. Wichtig war dem begeisterten Anhänger Luthers insbesondere die Wortdeklamation. So lässt er beispielsweise im ersten Favoritchor den Psalmtext monodisch, in begleitetem Sologesang, hier durch Tenor, vortragen.

Johann Hermann Schein (1586-1630) zählt neben seinen zeitgenössischen Freunden H. Schütz und S. Scheidt zu den führenden Komponisten des 17. Jahrhunderts. Während sich das kompositorische Schaffen der anderen Meister des Frühbarock jedoch fast ausschliesslich auf den Bereich der geistlichen Musik konzentrierte, schuf Schein neben seinen Kirchengesängen auch epochale weltliche Werke wie etwa das “Banchetto musicale” oder die “Waldliedlein”.
Auch bei ihm, der Italien nie bereiste, ist der italienische Einfluss unüberhörbar, zugleich jedoch das Erbe niederländischer Vokalpolyphonie bewahrend.
Nach beruflichen Zwischenstationen in Weissenfels und Weimar wird Schein 1616 als Nachfolger S. Calvisius’ Thomaskantor in Leipzig.

Felix Mendelssohn-Bartholdys (1809-1847) Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion im Jahr 1829 in Berlin gilt als Auftakt einer Renaissance alter Musik; zugleich als Beginn einer romantischen Bach-Bewegung, nachdem dessen Werk im Verlauf des 18. Jahrhunderts in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten war.
Mendelssohns eigene geistliche Vokalwerke spiegeln seine Beschäftigung mit Bach und Händel, aber auch mit der Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts wider. Seiner bereits von – grossbürgerlichem – Hause aus umfassende Bildung folgte ein Studium. Reisen führten ihn durch Deutschland und das europäische Ausland. In Italien, Paris und London nutzte er die Gelegenheit, Partituren Orlando di Lassos, Palestrinas und Händels zu studieren. Nicht zuletzt prägte ihn auch das Berliner Musikleben mit seiner nahezu ungebrochenen Bach-Tradition.
So kam Mendelssohn schon in seiner Kindheit als Mitglied der von Carl Friedrich Zelter geleiteten Berliner Singakademie mit Werken des Leipziger Thomaskantors in Berührung.
Die Motette “Warum toben die Heiden” ist die erste der drei Psalmvertonungen op. 78, die Mendelssohn 1843/44 für den von ihm seit 1843 geleiteten Berliner Domchor komponierte. Finden sich hier einerseits Parallelen zur barocken Mehrchörigkeit, so wird die Form doch von Mendelssohn viel freier gehandhabt: Dem doppelchörigen Beginn des Stückes folgen Abschnitte mit achtstimmigem und vierstimmigem Chorsatz, aber auch Unisono-Passagen und solistische Stellen sowie Kombinationen der Satzformen.

Der aus Württemberg stammende Komponist und Musikschriftsteller Wilhelm Weismann (1900-1980) studierte in Stuttgart und Leipzig. In den Jahren 1924-1928 war er als Redakteur der “Zeitschrift für Musik” und ab 1929 als Mitarbeiter und späterer Cheflektor des Musikverlags C. F. Peters tätig. An der Musikhochschule in Leipzig lehrte Weismann von 1946 bis 1955 und erneut ab 1961 Komposition. Den grössten Teil seines kompositorischen Schaffens nehmen seine Vokalwerke ein, von denen viele in der Tradition deutscher Volksmusik wurzeln. Einige geistliche Stücke finden sich bei den Chorkompositionen, darunter mehrere Psalmvertonungen.
Die Vertonung des 121. Psalms entstand im Jahr 1955 und ist in zwei Teile gegliedert. “Der Anruf” erinnert an romantische Chorwerke. Der zweite Teil, “Die Verheissung”, enthält archaische Elemente: Anklänge an Gregorianik, verbunden mit Quint- und Quartharmonik und modalem Tonvorrat.

Rudolf Mauersberger (1889-1971) komponierte die Trauermotette “Wie liegt die Stadt so wüst”, ein Werk für vier- bis siebenstimmigen gemischten Chor a cappella, unter dem unmittelbaren Eindruck der Zerstörung Dresdens in der Karwoche 1945.
Mauersberger, seit 1930 Kantor an der Dresdner Kreuzkirche, hatte nach den Bombardierungen in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 – neben den Trümmern des Gebäudes und des Schülerheims der Kirche – den Tod elf seiner “Kruzianer”, Knaben des Kreuzkirchenchores, zu beklagen.
In den Klageliedern Jeremiae, die die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier im Jahre 586 v. Chr. besingen, fand er den Widerhall seiner eigenen Trauer. Einzelne dieser Bibelverse deutet der Komponist nahezu Wort für Wort mit musikalischen Mitteln aus. So steht beispielsweise der “hohle” Klang der zahlreich von ihm eingesetzten Quint- und Quartparallelen die Öde der Bombenverwüstungen. Abwärtsführende Melismen (Koloraturen) beklagen das Elend der zerstörten Stadt.
1945 in der Ruine der Kreuzkirche uraufgeführt wurde die Trauermotette bald zum bekanntesten Werk Mauersbergers.

Die musikalischen Neuerungen des Barock waren der konzertante Stil und das einstimmige Lied, die Monodie. Die Einzelstimme wurde individueller behandelt und bekam mehr Gestaltungsfreiheit. Fortan wurden auch in der Kirchenmusik geistliche Texte solistisch vorgetragen und ihr Affektgehalt ausgedrückt. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Entwicklung in Italien und wurde zum Vorbild für die deutschen Kirchenkomponisten. So enthalten beispielsweise die “Kleinen geistlichen Konzerte” von Heinrich Schütz, entstanden 1636/39, konzertante und monodische Stücke für eine bis fünf Solostimmen mit Generalbass.

Mit Schütz bekannt war der in Norddeutschland und Dänemark wirkende Komponist und Instrumentalist Johann Schop (gest. 1667 in Hamburg). Neben zahlreichen Tanzsuiten schrieb er auch konzertante geistliche Musik.

Andreas Hammerschmidt (1611/12-1675) war Organist in Freiberg und Zittau. Im Vorwort des fünften Bandes seiner “Musikalischen Andachten” weist er selbst auf die Ähnlichkeit seiner Musik zu der seines Zeitgenossen Schütz hin.

Einer anderen Epoche gehörte der Komponist Hugo Distler (1908-1942) an. Geprägt von seinem Studium und seiner Tätigkeit als Kirchenmusiker, Organist und Chorleiter, dienten ihm die Kompositionen von Heinrich Schütz als Vorbild. Die alten Formen und Gattungen erfüllte Distler aber mit seinem individuellen Stil, freier Harmonik und Rhythmik. Lockere Polyphonie und deutlicher Textvortrag verbinden sich zu allgemeinverständlicher Tonsprache.

Achim Peters (Tenor)
Achim Peters wurde in Berlin geboren und studierte nach dem Abitur zunächst Medizin. Dann wechselte er an die Hochschule für Musik “Hanns Eisler” Berlin, wo er ein Gesangstudium bei Prof. Heidrun Franz-Vetter aufnahm.
Achim Peters ist Preisträger des Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert” 1995. Als gefragter Oratoriensänger trat er u. a. in “Weihnachtsoratorium” und “Markus-Passion” von J. S. Bach, “Messias” und “Johannes-Passion” von G. F. Händel sowie Mozarts “Requiem” auf.
Er wirkte in zahlreichen Hochschul-Inszenierungen mit und sang 1998 verschiedene Partien an der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Für die Produktion von Mozarts “Die Entführung aus dem Serail” ist er vom Konzerthaus Berlin als Pedrillo engagiert.

Catrin Fischer (Sopran)
Catrin Fischer absolvierte ihr Schulmusikstudium mit Hauptfach Gesang an der Hochschule der Künste Berlin. Nach ihrem Examen setzte sie ihre Gesangsstudien in der Klasse von Prof. Dietmar Hackel im Rahmen eines Diplomstudiengangs fort. Sie singt seit 1995 im Kronenchor Friedrichstadt und ist dabei in verschiedenen Projektkonzerten solistisch aufgetreten, so beispielsweise mit romantischen Kunstliedern und Liedern aus der Renaissance.

Wie bereits in früheren Konzerten am Orgelpositiv: Arno Schneider
Arno Schneider wurde 1965 in Stade geboren. Er absolvierte zunächst ein Kirchenmusik-B-Studium in Stuttgart (Orgel bei Jon Lankvik) und schloss daran ein Kirchenmusik-A-Studium an der HdK Berlin an. Dazu kamen Meisterkurse bei Michael Radulescu, Harald Vogel und Daniel Roth. Zur Zeit macht er ein Cembalo-Aufbaustudium bei Christine Schornsheim in Leipzig. Er ist als freiberuflicher Chorleiter, Stimmbildner und Continuospieler tätig.



Das 12. Projekt des Kronenchors