mystérieux



Die Konzerte fanden im Juni 2001 statt.


Das Programm:
Maurice Ravel (1875-1937)
Trois Chansons


Francis Poulenc (1899-1963)
Sept Chansons


Lili Boulanger (1893-1918)
5 Stücke mit Klavier


Goffredo Petrassi (*1904)
Nonsense


Einojuhani Rautavaara (*1928)
Suite de Lorca


aus dem Programmheft:
Maurice Ravel war geborener Baske, verlebte seine Kindheit aber bereits in Paris. 1889 trat er ins Pariser Konservatorium ein, wo er bei Bériot Klavier und bei Fauré Komposition studierte. Insgesamt studierte er 16 Jahre lang. Bereits mit 20 Jahren hatte er einen sehr eigenen Stil entwickelt, aber seine unkonventionellen Harmonien trafen in musik-akademischen Kreisen auf wenig Gegenliebe. Insgesamt fünfmal versuchte er den Prix de Rome zu gewinnen, immer scheiterte er an der Jury, beim fünften Anlauf skandalöser Weise bereits in der Vorrunde, was den Direktor des Konservatoriums immerhin seinen Job kostete…

Ravel galt als erstklassiger Pianist und Dirigent und ist aus dem französischen Musikschaffen vor dem 1. Weltkrieg nicht wegzudenken. Er gab Konzerte, war Musikkritiker und komponierte für Diaghilevs Ballet Russe.

Nach dem Weltkrieg ging es gesundheitlich bergab, was dazu führte, dass er nur noch sehr wenige, aber keineswegs weniger bedeutende Werke komponierte, darunter sein wohl populärstes Stück, den Bolero. Er dirigierte zwar noch zuweilen seine eigenen Werke, zog sich aber ansonsten aus dem öffentlichen Leben zurück. Einer seiner wenigen Schüler in dieser Zeit war Ralph Vaughan Williams.
Ravel starb letzten Endes an den Folgen einer Gehirnoperation, die er aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit nicht verkraftete.

Die im Konzert gesungenen Trois chansons (1915) sind Ravels einziges für Chor komponiertes Werk.
Das erste Stück daraus, Nicolette, ist eine kecke Rotkäppchen-Version. Nicolette entkommt dem bösen Wolf, verschmäht einen lieben, aber armen jungen Mann und rennt schliesslich einem reichen, aber hässlichen Alten in die Arme.
Die beiden anderen Stücke gehen auf Ravels Kriegserlebnisse zurück. In Ronde werden die kleinen Kinder gewarnt, in den Wald von Ormond zu gehen, weil dort die Ungeheuer hausen. Und im letzten und traurigsten der drei Stücke, Trois beaux oiseaux du Paradis, begegnen einer jungen Frau drei Paradiesvögel. Der erste bringt als Geschenk einen Blick aus den strahlenden Augen ihres Liebsten, der zweite gar dessen Kuss, der dritte aber bringt ihr das blutende Herz des gefallenen Soldaten…

Poulenc erlernte das Klavierspielen von seiner Mutter und begann im Alter von sieben Jahren zu komponieren. Mit 15 studierte er bereits mit Ricardo Vines, der ihn ermutigte zu komponieren, und der ihn mit Satie, Casella, Aurie u. a. bekannt machte. Durch seine Rapsodie nègre (1917) erreichte er in Paris allgemeine Berühmtheit als einer der jungen Komponisten, die als Les nouveaux Jeunes firmierten und von Satie und Cocteau unterstützt wurden.
Sein musiktechnisches Wissen war zu dieser Zeit noch nicht ausgereift, so dass er ab 1920 drei Jahre lang Harmonie bei Koechlin studierte. Auf ein regelrechtes Erlernen von Kontrapunkt oder Orchestrierung verzichtete er. Seine formalen Kenntnisse waren instinktiv begründet.
Zusammen mit Honegger, Auric, Tailleferre, Durey und Milhaud bildete er die Gruppe Les Six, die Romantizismus und Impressionismus ablehnten. Sie fühlten sich der “Pariser Volksmusik” verbunden, also Strassenmusikanten, Musikhallen oder Zirkuskapellen, und gaben gemeinsame Konzerte. Eine getreue Wiedergabe dieses Milieus findet sich in der Vertonung von Cocteaus Cocardes, die Strawinski auf Poulenc aufmerksam machten.
Die daraus resultierende Bekanntschaft mit Diaghilev führte zur Kompositions des Ballets Les Biches (1923), in dem die besondere Stimmung der 20er Jahre mit ihrem Bezug zu Jazz und romantischer Lyrik aufgegriffen wurde. Letztere wurde im Werk Poulencs immer bedeutender. Besonders spürbar wird dies in den Werken nach 1935, gerade in den Stücken für Gesang und Klavier. Er begleitete damals den grossen französischen Bariton Pierre Bernac. Die Stücke nach Apollinaire und Eluard gelten als emotionaler Höhepunkt seines Schaffens.
Seine Musik hat Witz, Eleganz, Tiefe und etwas Bitter-Süsses, dass in seinem gleichermassen von Frohsinn wie von Melancholie geprägten Wesen begründet ist.
Erst 1936 setzte Poulenc zu einer Reihe von Chorwerken an. Als die “Chanteurs de Lyon” bei ihm ein Stück in Auftrag gaben, studierte er die Madrigale Monteverdis anhand von Aufführungen des Vokalensembles von Nadia Boulanger. Gleichzeitig stiess er auf die fünf Gedichte von Paul Eluard, den er verehrte, und über den er sagte, er sei der einzige Surrealist, der die Musik toleriere und dessen Werk von musikalischer Schwingung geprägt sei. Aus Eluards neuestem Werk, La vie immediate, wählte er fünf Gedichte aus: A peine défigurée, Par une nuit nouvelle, Tous les Droits, Belle et Ressamblante und Luire. Zusammen mit zwei Gedichten von Guillaume Apollinaire, La blanche neige und Marie entstanden die Sept Chansons. Dabei bilden die Apollinaire-Stücke einen etwas verspielten Gegensatz zu den schwereren Eluard-Gedichten, mit Ausnahme vielleicht des aufschreienden Schlussstückes Luire.
Gaston Gallimard, der Verleger von Apollinaire, hatte sich zunächst geweigert, die von Poulenc verwendeten Gedichte überhaupt herauszugeben. Nachdem er allerdings im Mai 1937 in Paris die vertonte Version Poulencs durch den Chor aus Lyon hörte, änderte er seine Meinung und gab grünes Licht für die Veröffentlichung.
In diesem ersten grossen Chorwerk findet Poulenc zu einer perfekten Verwendung der Stimmen, wechselnd zwischen Soli, Tutti und einer “chorischen Orchestrierung” mit Stimmteilungen und Oktavverdoppelungen. In Le jour schrieb Henri Saguet: “Francis Poulenc zeigt sich als Erbe von Janequin und Ravel.” Die Anordnung der Gedichte führt das Publikum durch Traum, Geheimnis, Wut, Gewalt und Ruhe, um schliesslich im grossartigen Clair soleil d’été zu enden, in dem Poulenc gleichzeitig zur Erde zurückfindet und doch schon den Himmel schaut.

Die Schwester der älteren Nadia Boulanger studierte am Pariser Konservatorium, seit 1912 bei Caussade und Vidal. Sie war im Jahr 1913 die erste Frau, die den prestigeträchtigen Prix de Rome gewinnen konnte. Dies gelang ihr mit der Kantate Faust et Hélène. Zwar verraten ihre Kompositionen durchweg aussergewöhnliche Fähigkeiten, aber ihrer künstlerischen Karriere stand fast permanent ihre labile Gesundheit im Wege. Aufgrund einer Lungenentzündung im Kindesalter war ihr Immunsystem zeitlebens geschwächt. Mit 16 Jahren entschied sie sich für das Komponieren, nachdem sie einsehen musste, dass sie der Belastung von Konzerten als Aufführende nicht würde standhalten können. Nach dem Sieg beim Prix de Rome, der ihr einen Vertrag mit dem Verlag Ricordi einbrachte, studierte sie kurz in Rom in der Villa Medici. Nach nur sechs Monaten kehrte sie nach hause zurück, weil der 1. Weltkrieg begann. Sie gründete zu dieser Zeit eine Gruppe, die zum Kriegsdienst eingezogenen Musikern ermöglichen sollte, den Kontakt zu ihren Familien aufrecht zu erhalten. Sie schrieb wunderbare Werke für Chor, Solo und Orchester und starb im Alter von nur 24 Jahren.
Aus den Fünf Stücken mit Klavier singen wir Le Renouveau, Pour les Funérailles d’un Soldat und Hymn au Soleil.

Goffredo Petrassi arbeitete einige Jahre in einer römischen Musikalienhandlung, bevor er 1928 in die Accademia di Santa Cecilia eintrat, um dort Komposition und Orgel zu studieren. 1932 gewann er einen Kompositionswettbewerb des Sindicato Nazionale dei Musicisti, und noch im selben Jahr dirigierte Casella das Petrassi-Stück als einzigen italienischen Beitrag des ISCM Festivals in Amsterdam, was dem Komponisten schnell zur Bekanntheit verhalf.
Zwischen 1934 und 1936 lehrte Petrassi an der Santa Cecilia Harmonie, Kontrapunkt und Chorkomposition. Er war Generaldirektor von La Fenice di Venezia und erhielt den Lehrstuhl für Komposition am Konservatorium der Santa Cecilia, den er 20 Jahre lang inne hatte.
Er gab in dieser Zeit Kompositionskurse u. a. am Mozarteum in Salzburg und in Tanglewood/USA. Seit 1959 folgten Meisterkurse an der Accademia di Santa Cecilia.
In seinen konzisen und rhythmischen Kompositionen verraten sich die Einflüsse seines Landsmannes Casella, ferner Hindemiths und Strawinskis. Seine wichtigsten Werke sind für Orchester und Chor geschrieben. Sieben Orchesterkonzerte dokumentieren seine Fähigkeit, moderne musikalische Techniken, einschliesslich der Zwölftontechnik, mit seinem eigenen, ganz persönlichen Stil zu verbinden.
Petrassi gilt nach Dallapiccola als wichtigster und einflussreichster italienischer Komponist seiner Generation. Zu seinen Schülern gehören A. Clementi, Porena, Guaccero und Panni.
Das Stück Nonsense (1952) ist eine Vertonung von fünf Limericks aus Edward Lear’s “Book of Nonsense”, das insgesamt 112 solcher kurzen Dichtungen enthält. Im einzelnen werden so bewegende Schicksale wie das einer Frau, die sich vom sich ständig entfernenden Ende ihrer immerfort wachsenden Nase verabschieden muss, eines Mannes, dem eine Schlange aus dem Schuh wächst, bis er sie schliesslich mit seinem Flötenspiel in die Flucht schlagen kann, eines sehr alten Mannes, der voller Langeweile auf einem Stuhl dem Tod entgegensehnt, einer jungen Frau, die ein so spitzes Kinn hat, dass sie anfängt, damit die Harfe zu zupfen und schliesslich einer älteren Dame, die ihre Mühe hat, nicht von einer Menschenmenge zertreten zu werden, aufgearbeitet. Oder besser: dargestellt…

Mit der Suite de Lorca nehmen wir ein Stück wieder auf, dass wir 1995 schon einmal im Programm hatten. Es war dies seinerzeit das erste Projekt unter der Leitung von Ulrike Grosch.
Einojuhani Rautavaara, 1928 in Helsinki geboren, reiste in den 50er Jahren durch Europa und Amerika, wo er zahlreiche Anregungen erhielt, die er in seinen Kompositionen verarbeitete. Die Suite de Lorca entstand 1973. Rautavaaras musikalische Sprache gliedert sich in folkloristische Elemente ebenso wie vokale Techniken des 20. Jahrhunderts. Seine eng am natürlichen Sprachrhythmus und -klang orientierte Musik zeigt eine tiefe und sensible Verbindung zum Inhalt und den Bildern der Lorcaschen Dichtung.
Federico Garcia Lorca, geboren am 11. Juni 1898 in Fuente Vaqueros (Provinz Granada) im südlichen Andalusien, wurde am Morgen des 19. August 1936 von den Falangisten, den spanischen Faschisten, erschossen.
Dazwischen liegt das Leben des nach Cervantes wohl bedeutendsten Dichters Spaniens. Lorca zeichnete, spielte Klavier und schrieb seine ersten Gedichte mit 17 Jahren. Zu seinen Freunden gehörten unter anderen Manuel de Falla, Luis Bunuel und vor allem Salvador Dali, mit dem ihn eine innige, tragisch endende Freundschaft verband.
Als er 1921 seine Poemas del Cante Jondo (Gedichte vom tiefen Gesang) veröffentlichte, wurde er schlagartig im ganzen Land bekannt. In ihnen beginnt sich auch schon sein gebrochenes Verhältnis zu seiner Homosexualität niederzuschlagen, das sich in den späteren Jahren vor allem in den tragischen Frauenfiguren seiner Dramen wiederspiegelt. Durch sein gesamtes dichterisches Werk zieht sich die unerreichte, unerfüllbare Liebe – die Liebespein – einhergehend mit dem Tod. Seine Symbolik lehnt sich stark an die mystischen Bilder andalusischer Überlieferungen an, die in der arabischen, jüdischen, frühchristlichen und vor allem der Kultur der Gitanos wurzeln.
So verkörperte der Mond, ein zentrales Motiv seiner Dichtung, in Cuando sale la luna zwei scheinbare Gegensätze: die Liebe und den Tod. Der Mond, in den romanischen Sprachen weiblich (la luna), ist jedoch kein Synonym für den Tod (la muerte). Er steht für die unerreichbare, sich aller irdischen, sinnlichen Empfindungen versagende Liebe. Kalt und bleich kommt er daher, während das Meer, aus dem das Leben kommt, das für die irdische Wirklichkeit und für das geheimnisvolle Ungewisse steht, sich auf der Erde ausbreitet. Niemand findet dann den Genuß des Körperlichen, und es bleibt nur, ‘sich grüne, erstarrte Früchte zu brechen…’



Das 14. Projekt des Kronenchors