In sweet music is such art



Mythen und Sagen in englischer Vokalmusik von Purcell, Vaughan Williams und Kodály


Im fünften Projekt befaßte sich der Kronenchor im Sommer 1996 mit Vertonungen über die Sagen- und Mythenwelt Englands. William Shakespeare lieferte den Stoff, der von Henry Purcell, Ralph Vaughan Williams und dem Ungarn Zoltán Kodály in Musik umgesetzt wurde.


Musikalische Partnerin des Kronenchors war ein wiederum eigens zusammengestelltes Ensemble auf historischen Instrumenten. Dazu gehörten Bettina Ecken (1. Violine), Stephan Sieben (2. Violine), Franziska Weiß (Viola), Beate Meyer-Stolz (Cello), Jörg Froehlich (Kontrabaß) und Anne Bussewitz (Cembalo).
Die gesanglichen Solopartien wurden von Chormitgliedern übernommen: Anita-Marie Schuppan (Sopran), Catrin Fischer (Sopran), Achim Peters (Tenor), Christoph Löffler (Baß) und Alban Keller (Baß)


Aufgeführt wurde das Programm in der Stülerkirche von Caputh bei Potsdam und in der Parochialkirche in Berlin-Mitte.


Das Programm

Henry Purcell
In these delightful pleasant groves

Zoltán Kodály
An ode for music

Ralph Vaughan Williams
Three Shakespeare-Songs
The cloud capp’d towers
Over hill, over dale

Henry Purcell
The Fairy Queen
Prelude (Instr.)
Come all ye Songsters (Tenor)
Prelude (Instr.)
Now join your warbling voices all (Chor)
Sing while we trip it (Sopran und Chor)
Fairies Dance (Instr.)
Night (Sopran)
Mystery (Sopran)
Secrecy (Tenor)
Sleep (Baß und Chor)
Air (Instr.)
Prelude (Instr.)
If love’s a sweet passion (Sopran)
I press her hand gently (Chor)
Dance (Instr.)

Henry Purcell
Dido and Aeneas
If not for mine (Baß)
Pursue thy conquest love (Sopran)
To the hills and the vales (Chor)
The triumphing dance (Instr.)
The sailors’ dance (Instr.)
Our next motion must be (Sopran)
Destruction’s our delight (Chor)
The witches’ dance (Instr.)
Great minds (Chor)
Thy hand Belinda (Sopran)
With drooping wings (Chor)


Hier ein Auszug aus dem damaligen Programmheft:
In sweet music is such art
Wir wollen Sie mitnehmen auf eine Reise durch die Mythen- und Sagenwelt des alten England. Die Texte der von uns ausgesuchten Vertonungen gehen größtenteils auf Shakespeare zurück. Doch nicht nur sein Werk haben die englische ‘FairyQueen’ und die klassischen Sagen des antiken Griechenlands geprägt. Lassen Sie uns Ihnen zu Gehör bringen, in welcher Vielfalt die mythischen Bilder und Geschichten bis in unser Zeitalter hinein die Phantasie, aber auch die künstlerische Auseinandersetzung der englischen Dichter und Komponisten nach Shakespeare inspiriert haben.

Zum Auftakt ein pastorales Hirtenstück des englischen Komponisten Henry Purcell (1659-1695): ‘In these delightful pleasant groves’ – ‘In diesen entzückenden, angenehmen Hainen’ Englands feiert er ‘our happy, happy loves’. ‘Laßt uns flöten und tanzen, laßt uns unsere Lieben feiern und huldigen!’

Halbdramatische Dichtungen mythologischen oder allegorischen Inhalts, Musik und Tanz bildeten den Mittelpunkt der Festlichkeiten des Hofes im England des 16. und 17. Jahrhunderts. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich unter Königin Elisabeth die ‘Masques’/Maskenspiele, die mit vielen Solisten, Chören und Instrumenten und großem Spektakel aufgeführt wurden. Purcell markiert mit seinem Schaffen eine Blütezeit der englischen Musik.
Für die Texte griff man wie in unserem Einführungsstück auf die schon von den griechischen Dichtern Theokrit und Vergil idealisierte idyllisch ländliche Hirtenszenerie, die antiken Sagen oder die reiche heimatliche Mythologie zurück. Shakespeare steht ganz in diesem beschwingten Zeitgeist, wenn auch die religiös-politischen Auseinandersetzungen im Lande die allgemeine Lebensfreude gedämpft haben mögen.

Es folgt ‘An ode for music’ von Zoltán Kodály (1882-1967). Vielleicht mag es Sie erstaunen, daß die Musik eines ungarischen Komponisten am eigentlichen Beginn unserer Reise duch die Mythen- und Sagenwelt Englands steht. Aber seiner Ode an die Musik liegt die letzte Strophe der Allegorie ‘The Passions’ des englischen Dichters William Collins (1721-1759) zugrunde.
Die menschlichen Gefühle von Angst, Zorn, Verzweiflung, Rache, Eifersucht, Hoffnung, Fröhlichkeit und Weisheit erwachen im Gedicht zu eigenständigem Leben.
Collins wandte sich vehement gegen den zu seiner Zeit vorherrschenden Stil in der vornehmlich von Händel geprägten englischen Musik. Ihn verlangte nach der ‘simple music’, nach rhythmischen Melodien, denen ein leidenschaftlicher Text unterlegt ist.
In seinen ‘Passions’ variieren Versmaß und Metrik nach der Natur der jeweiligen Leidenschaft, die sich selbst in und durch Musik ausdrücken (ursprünglich wurde das Gedicht ‘for music’, d. h. für eine bestimmte Melodie, verfaßt).

Der Komponist Zoltán Kodály kommt in der ‘Ode’ der ästhetischen Forderung des Dichters nach, schließt sich ihr an. Auch er suchte nach einer einfachen, ‘typisch ungarischen Musik’, sammelte jahrelang die Lieder seines Volkes und rekonstruierte deren Skalen und Aufbau.
Archaisch wirkende Klänge aus Naturtönen beschwören zu Beginn der Ode den urzeitlichen ‘Idealzustand’ der Musik, des Lebens, der Menschheit. Die Geburt der Melodie (Frauenstimmen) wird zart von diesen Akkorden unterstützt. Einstimmigkeit fächert sich in Klang auf.
Daneben ist Kodály aber auch von seinem Lehrer Hans Koessler geprägt, der seine Schüler traditionell und ganz im Geiste Brahms’, des Fugensatzes und der Reinheit des Klanges erzog, was sich im weiteren Verlauf der Ode widerspiegelt. Denn mit seinem markanten Thema führt das Fugato der Shakespeare-Zeilen ‘Orpheus with his lute…’ in die Klangwelt der Polyphonie, unterbrochen nur von einer Vokalise in Sopran und Alt.
Der griechische Sänger Orpheus vermochte der Erzählung nach durch die Zauberkraft seines Gesangs und seines Saitenspiels wilde Tiere zu zähmen und selbst unbelebte Natur zu bewegen. Bekannt ist uns noch heute seine Reise in die Unterwelt zu seiner verstorbenen Frau Euridyke, die er mit seiner Musik in die Welt der Lebenden zurückzuholen versuchte.
Die beschwörenden Deklamationen der drei begleitenden Unterstimmen fordern: ‘Oh, gebiete unserem unnützen Streben Einhalt und bringe die rechten Bestrebungen Griechenlands zu neuem Leben. Kehre ganz in Deiner schlichten Gestalt zurück! Bestätige die Sagen, die ihre Söhne erzählen.’
Das Fugenthema erscheint erneut und mündet in eine großartige Schlußsequenz.

Auch Ralph Vaughan Williams (1872-1952) sammelte die Volkslieder seiner Nation. Eine weitere Inspirationsquelle war daneben die altenglische Tudormusik aus der Shakespeare-Zeit. Vaughan Williams war ein großer Anhänger Purcells, dessen Werke er herausgab.
Er begann im Alter von zwanzig Jahren sein Studium der Musik am Trinity College. 1897 ging er nach Berlin, um seine Ausbildung bei Max Bruch fortzusetzen.
Es war wohl sein Besuch bei Maurice Ravel und seine Begegnung mit dem Impressionismus in Paris (1908), der zu einer differenzierten klanglichen Gestaltung seiner Werke führte. Gemeinsam mit seinem engen Freund Gustav Holst folgte Vaughan Williams 1909 einem Ruf nach London, wo er später am Royal College of Music eine Professur erhalten sollte.

Die hier gesungenen Stücke von Vaughan Williams (zwei seiner ‘Three Shakespeare-Songs’ von 1951) sind inhaltlich und musikalisch sehr verschieden. Die Kontraste finden ihre Entsprechung im Verhältnis von Wort und Ton – die verschiedenen Stimmungen der Texte sind meisterhaft in Klang umgesetzt.

‘The cloud cappe’d towers’ ist der Schlußszene von ‘The Tempest’, dem letzten großen Werk Shakespeares, entnommen.
Der weiße Magier Prospero beherrscht mit dem Luftgeist Ariel eine ideale, der Intrigenwelt der Zivilisation entrückte Insel. Seine Gegenspielerin ist eine schwarze Magierin, die Hexe Sycorax. In den vertonten Zeilen beklagt Prospero die übelbringende Herrschsucht der Menschen. Sie sollten einsehen, daß ihr Leben nur ein Traum, eine Illusion ist und so zu Demut gelangen: ‘Und wie das im Nichts gegründete Gebäude dieses Geisterbildes werden einst auch die wolkenbekränzten Türme, die Prunkpaläste, die heiligen Tempel, ja selbst dieses Erdenrund, mit allen, die es in Besitz genommen haben, der Auflösung verfallen und so, wie dieses wesenlose Schauspiel schwand, nicht einmal ein Wölkchen zurücklassen. Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind; und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.’
Der Tonsatz besteht fast ausschließlich aus blockartig verschobenen Akkorden. Diese sind zwar bis zur Neunstimmigkeit aufgefächert, bewegen sich aber vornehmlich in tieferen Lagen. Ein düsteres Klangbild kreist um die harmonischen Fixpunkte (fis-moll und Es-Dur). Lange Notenwerte betonen die Worte ‘dreams’ und ‘life’ und besonders ‘sleep’, das am Schluß des Stückes über mehrere Takte ausgehalten wird. Hier wird F-Dur durch eine Mollterz im Sopran eingetrübt, was dem Schluß eine objektive Endgültigkeit verleiht, die die wissenschaftliche Interpretation auch dem Text Shakespeares unterlegt.

Die Antwort einer Elfe auf die Frage des dem Feenkönig Oberon dienenden Koboldes Puck nach ihrem Weg ‘Over hill over dale’ führt uns abermals in eine jenseitige, nun aber mythisch-heitere Welt, die der Feen.
Der Text entstammt dem ‘Sommernachtstraum’ von Shakespeare (1595/96). Im Gegensatz zum vorhergehenden Stück hat dieses Lied ein rasches, beschwingtes Tempo. Zur Charakterisierung der ungreifbar schnell vorbeihuschenden Elfen steht am Anfang und Ende ein funktionslos gebrauchter Akkord, der unaufgelöst bleibt. Die Tongebung ist leicht – nie ruhend – kommend und gehend, flirrend wie die quirligen Elfen. Auch die große Bewegung in den Unterstimmen ahmt sie nach, die darüberschwebende Sopranlinie weht luftig über dem Szenario: ‘Über Berg, über Tal, durch Gebüsch und Dornen, über Park, über Zaun, durch Flut, durch Feuer wandere ich überall, rascher denn die Sphäre des Mondes; und ich diene der Elfenkönigin, ihre Ringe auf dem Rasen zu betauen. Die hohen Primeln sind ihre Leibgarde; auf ihren Goldmänteln siehst du Tupfen; das sind Rubine, Elfen-Liebeszeichen, in jenen Sommersprossen wohnt ihr Duft. Ich muß hier einige Tautropfen suchen gehen und eine Perle in das Ohr jeder Primel hängen.’

Mit der Vertonung der ‘Fairy Queen’ von Purcell bleiben wir in der Szenerie des Sommernachtstraums. Auf zwei Handlungsebenen stehen sich die kühle Ordnung des menschlichen Gesetzes und die Traumwelt der chaotischen Phantasie gegenüber. Im Wald regieren die Feenkönigin Titania und ihr Gemahl Oberon. Menschliche Liebespaare, die dem starren Zwang des Gesetzes am Hof von Athen entfliehen wollen, werden in den Ehezwist des Feenkönigpaares verwickelt und vom Liebeszauber des Oberon betroffen. Sie erleben ein rasantes Auf und Ab der Gefühle, der Geliebte wird zum Fremden, die Fremde ihrem Gegner zur Begehrenswertesten, die Freundin zur Feindin. Die Liebe in allen ihren Facetten schürt und entwirrt komisch-heitere Konflikte. Narrheit obsiegt über Vernunft, der Traum scheint schöner als das (Er-)Wachen; in der Welt der Phantasie wird die Nacht zum Tag und die Ordnung weicht dem Chaos.

Purcell hat nicht den Originaltext von Shakespeare vertont, sondern eine die Handlung vereinfachende anonyme Bearbeitung. Die Musikszenen stehen als freie Einschübe am Ende der einzelnen Akte des gesprochenen Dramas und werden auf den Befehl Titanias als Maskenspiele dargeboten.

In diesem Konzert erklingen Ausschnitte aus der Fairy Queen, beginnend mit dem zweiten Akt (siehe Programmabfolge).

Von ganz anderer Art und Konsequenz als im Feentreiben der Fairy Queen ist die Liebe von ‘Dido and Aeneas’.
Der Text der dreiaktigen, reich mit Balletten und Chören durchzogenen Oper mit Prolog geht auf ‘Brutus of Alba or The Enchanted Lovers’ (1678) des berühmten Nahum Tate zurück und basiert auf dem vierten Buch der ‘Aeneis’ von Vergil (19. Jhdt. vor Christus)
Leider ging die Originalpartitur zu Purcells Uraufführung (vermutlich 1689 an einer Mädchenschule) verloren. Überliefert sind uns lediglich die Textbücher der Aufführungen von 1689 und 1700, aus denen sich schließen läßt, daß ein abendfüllendes Werk geplant war. Das Libretto verzichtet im wesentlichen auf spukhaftes ‘lokales Kolorit’, nur im Auftritt der Hexen knüpft der unbekannte Autor an die Tradition der Masque an.
Im Mittelpunkt der Opernhandlung steht der tragische Konflikt der Dido, die in ihrem abschließenden Lamento eine ganz nach innen gerichtete, unantastbare Würde und Größe zeigt.

Das Werk – ein einzigartiger Stilversuch und die einzige durchkomponierte Oper Purcells – leitete die eigentliche Theaterlaufbahn des Komponisten ein. Genauere Umstände der Entstehung sind uns nicht überliefert, allerdings forderten Zeitgenossen eine Trennung der Gattungen Schauspiel und Musik. Die große, die eher schwächliche Dichtung überwindende, und emporhebende Expressivität der Oper wird u. a. duch eine Instrumentation nur mit Streichern und einer ungewöhnlichen Behandlung des Vorhaltes (der verzögerten Akkordauflösung) erreicht. Typisch sind vor allem die Seufzer-Motive in den zahlreichen, meist kurzen Chorsätzen.



Das 5. Projekt des Kronenchors