IN PARADISUM



Konzerte
12. November 2016 in der St. Matthias – Kirche auf dem Winterfeldtplatz
13. November 2016 in der St. Thomas – Kirche am Mariannenplatz


Francis Poulenc (1899-1963)
Quatre petites prières de Saint François d’Assise, FP142
1 Salut, Dame Sainte
3 Seigneur, je vous en prie
für Männerchor a cappella

Maurice Duruflé (1902-1986)
Quatre Motets sur des Thèmes Grégoriens, op. 10
2 Tota pulchra es
für Frauenchor a cappella

Francis Poulenc
Salve Regina
für gemischten Chor a cappella

Maurice Duruflé
Requiem für Soli, Chor und Orgel, op. 9


Daniel Clark, Orgel
Elisabeth Fischer-Sgard, Sopran
Rainer Killius, Bariton
Sirja Nironen, Cello
Leitung: Marie Eumont


Große Freiheit, tiefer Trost
Freiheit im Musikmachen zu erfahren, das ist das Thema, welches sich Marie Eumont – nach dem Zusammenfinden in Klang und Rhythmus – für ihre chorische Arbeit mit dem Kronenchor in diesem Projekt vorgenommen hat. Inspiration dazu fand sie in den Werken zweier französischer Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts. Die wiedergewonnene Freiheit nach dem menschlichen und kulturellen Desaster des Zweiten Weltkriegs fand die französischen Komponisten in einer ähnlichen Situation wie diejenigen in Deutschland. Jäh unterbrochene Entwicklungslinien wollten wieder aufgegriffen werden, aber verändert im Nachwirken der gerade überlebten Katastrophen.

Freiheit im musikalischen Ausdruck war bereits das Kompositionsthema zwischen den Kriegen gewesen, eine Freiheit in Klang, Rhythmus und Harmonie, die schon mit Claude Debussys Après-midi d’un Faun eröffnet und in Strawinskys Sacre du Printemps noch entscheidend erweitert wurde. Aber nicht nach Impression und Opulenz stand der jungen Komponistengarde des neuen Jahrhunderts der Sinn, sondern nach Klarheit und Prägnanz. Schönbergs Zwölftontechnik fiel da bei vielen auf fruchtbaren Boden, aber nicht bei allen. Die beiden Chor-Komponisten des heutigen Abends, Maurice Duruflé und Francis Poulenc, schöpften ihre musikalischen Inspirationen eher aus einer Klangfarben-Malerei, die im Falle Duruflés aus Spätromantik und Impressionismus, im Falle Poulencs aus einer expressionistischen Palette der Kontraste hergeleitet werden kann. Beide hatten schon vor dem Zweiten Weltkrieg den Halt und die Tiefe für ihren Schaffensimpuls im katholischen Glauben gefunden.

Um wie viel mehr war dann nach dem Krieg ein Umgang mit Freiheit gefordert, der gleichzeitig Klarheit und Ernst sowie Trost und Zuversicht bieten konnte. Beide Komponisten wandten sich in diesem Moment dem Mönchsgesang zu, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise.
Maurice Duruflé hatte sich als Organist und Komponist schon vor dem Krieg mit dem gregorianischen Choral beschäftigt (s. Umschlag). In ihm fand er den Glauben und die Freiheit, die er sich wünschte. Das melismatische Spiel der Melodien, rhythmisch keinem festen Metrum, sondern der individuellen Sprache und Betonung der Ausführenden anheim gegeben, war für ihn Zeichen der Zeit- und Schwerelosigkeit. In seinem Requiem von 1947 für Soli, Chor und Orgel, in dem der kontemplative und tröstende Ton gegenüber dem Dies Irae vorherrscht, werden die gregorianischen Linien getragen und umwoben von einem Klanggefüge, welches gleichermaßen aus dem 20. Jahrhundert wie aus barocker Kontrapunktik zu erwachsen scheint. Insofern erlaubte sich Duruflé in seinen Rückgriffen, in seiner kompositorischen Souveränität und Kontinuität ebenso eine freie Position in dem schon nach neuen Dogmen suchenden kulturellen Zeitgeschehen.

Francis Poulenc setzte den gregorianischen Choral nicht direkt ein, sondern schrieb den Mönchen sozusagen ein neues Gesangsrepertoire, basierend auf frei assoziierten Klangmotiven aus Organum und Gregorianik. Seine Quatres petites prières de Saint François d’Assise von 1948 widmete er den Brüdern des Klosters Champfleury, denen er scheinbar eine sehr hohe Gesangskultur zutraute. Die Klangsprache ist hier ausgesprochen dicht und farbenreich. Die Formen sind übersichtlich und geschlossen und setzen sich dennoch aus sehr kontrastreich zueinander wirkenden Partikeln zusammen, wie aneinandergefügte Farbstudien. „Auf jeden Fall wollte ich […] ein Zeichen der Demut setzen“, schreibt Poulenc.
Tota pulchra es Maria ist ein altes christliches Gebet, das aus Versen des Alten Testamentes zusammengesetzt und auf Maria bzw. ihre unbefleckte Empfängnis gedeutet wird. Die vorgeführte Fassung von Maurice Duruflé ist ein dreistimmiger Frauensatz aus den Quatre Motets sur des Thèmes Grégoriens op. 10 für Chor a cappella (1960). Aus einer idealen Vokalität entwickelt, erinnert das Stück mit der farbigen und leichten Harmonik an den Impressionismus. Zum Teil zitiert Duruflé Originalmelodien des Gregorianischen Chorals, zum Teil lehnen sich seine erfundenen Melodien an die Gregorianik an. Poulencs Vertonung der marianischen Antiphon Salve Regina von 1941 verbindet ausrufende und triumphierende Passagen mit solchen, die der Zartheit und Milde – „o clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria“ – nachspüren. Einfache Imitation der Stimmen wechselt mit harmonischer Vielstimmigkeit.
Die hier vorgetragenen Werke beider Komponisten lassen erahnen, dass Freiheit durch eine Ernsthaftigkeit im Tun, durch ein konzentriertes Hören in die Gemeinschaft und dann erst als Leichtigkeit und Freude erlebt werden kann.
Johannes Buchholz


Das 44. Projekt des Kronenchores.