Fahet uns



In diesem Projekt wandte sich der Kronenchor wieder der Alten Musik zu. Und zwar Vertonungen des Hoheliedes Salomonis. Das Programm erlebte seine Uraufführung im Rahmen der Sonntagskonzertreihe des Berliner Sängerbundes im Kammermusiksaal der Philharmonie und wurde danach noch zwei weitere Male mit großem Erfolg in der Versöhnungsgemeinde in Berlin-Wedding und in der Herz-Jesu-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg aufgeführt.


Der Kronenchor arbeitete bei diesem Projekt mit der Sopranistin Doerthe Sandmann und einem eigens für diese Konzerte zusammengestellten Barockensemble auf Originalinstrumenten zusammen. Darin spielten Katharina Arendt (Barockvioline), Ulrike Wildenhof (Barockvioline), Andreas Vetter (Barockcello) und Arno Schneider (Continuo).


Das Programm

Melchior Franck (um 1580-1639)
Fünf Hohelied-Motetten für 5 und 6 Stimmen
Fahet uns die Füchse

Leonhard Lechner (um 1580-1606)
Das Hohelied Salomonis
Der vierte, fünfte und sechste Teil, Motetten für 4 Stimmen:
Siehe, mein Freundin
Ich bin ein Blumen
Fahet uns die Füchse

Heinrich Schütz (1585-1672)
Cantiones Sacrae Nr. XI und XII für 4 Stimmen und Basso continuo
Ego dormio et cor meum vigilat
Vulnerasti cor meum
Stehe auf meine Freundin
Motette für Doppelchor und Basso continuo

Georg Friedrich Händel (1637-1707)
O qualis de coelo sonus
Kantate für Sopran, 2 Violinen und Basso continuo

Dietrich Buxtehude (um 1637-1707)
Surge amica mea
Kantate Nr. 4 aus ‘Membra Jesu Nostri’/Kantatenzyklus in sieben Teilen über den am Kreuz leidenden Heiland


Hier ein Auszug aus dem damaligen Programmheft
Das Hohelied
Kaum ein anderes alttestamentliches Buch hat Theologen, Mystiker, Philosophen, Poeten, Maler und nicht zuletzt Musiker so fasziniert wie das Canticum Canticorum (Lied der Lieder).
Das ‘Hohelied Salomonis’ ist vermutlich im dritten Jahrhundert vor Christus aus einer Fülle überlieferter uralter Liebeslieder zu einem Buch zusammengestellt worden. Weil dem legendären König Salomon die Autorenschaft zugeschrieben wurde, gelangte die Samnmlung in den Kanon der hebräischen Bibel, d. h. des Alten Testaments.
Wörtlich übersetzt heißt der hebräische Titel ‘Das Lied der Lieder’ oder ‘Das Allerschünste Lied’. Die deutsche Bezeichnung geht auf Martin Luther zurück.

Das Hohelied beschreibt in einer Folge von Gedichten die Liebe und Sehnsucht eines jungen Paares. In einer Fülle farbiger Bilder werden die Freude des Zusammenseins, der Schmerz der Trennung und das Glück der Vereinigung von Mann und Frau geschildert. In den Versen wechseln die Szenarien ebeno rasch wie die dichterischen Motive, die die Liebenden vielfältig u.a. mit symbolischen Tiergestalten beschreiben bzw. vergleichen.
Die Entstehungszeiten der einzelnen Teile und die Datierung ihrer Zusammenfassung im Hohelied waren und sind bis heute ebenso umstritten wie die Gattung und Struktur des Textes oder seine Urheber. Die Unterteilung der überlieferten Texte in acht Gesänge/Kapitel wird als eher willkürlich angesehen.

Je nach zeitgeschichtlichem Hintergrund und Glauben der Kommentatoren finden sich einander stark unterscheidende religiöse und weltliche Interpretationen zum Lied der Lieder.
So wird von einer bildlichen Darstellung der Liebe Jahwes zu seinem Volk gesprochen (allegorische Deutung), vom Mysterium der Liebe Christi zu seiner Kirche, von einem Zwiegespräch zwischen Gott/Christus und Einzelseele (Bernard von Clairvaux), oder – die Zugehörigkeit zum Kanon wegen der eindeutig erotischen Inhalte verleugnend – von einer Dichtung Salomons zur bloßen Verteidigung seiner Ehe mit einer Ägypterin.
Der weltliche Charakter dieser Dichtungen gewinnt erst in neuerer Zeit wieder mehr und mehr an Bedeutung. Ein zeitgenössischer Bibelkommentator spricht zusammfassend von ‘…willkürlichen, unbefriedigenden und häufig himmelschreiend grotesken Resultaten, [zu denen] das ‘tiefere’ Verständnis der Allegoristen führte’ (Othmar Keel 1986). Deutlich an all dem wird, daß die patriarchalen Kirchen die alten ehrwürdigen Texte auf der einen Seite nicht ignorieren, auf der anderen Seite aber auch ihren ‘natürlichen’ Symbolcharakter nicht akzeptieren konnten. Lösung aus diesem Dilemma bot die Allegorese, mittels derer ein ‘tieferer’, den patriarchalen Kirchenvätern genehmer Sinn der Texte ‘erkannt’ wurde.

Die Symbolik der verwendeten Metaphern und Motive

Leider sind viele der im Text verwendeten Bilder, Symbole und Anspielungen heutigen LeserInnen unverständlich. Wir können hier nur einige Beispiele herausgreifen und – den Versuch einer eigenen Interpretation der Symbolik – eher ‘trocken’ vorstellen, wobei wir der Reihenfolge ihres Anklingens in unserem Programm folgen.

1. ‘Fahet [= fanget] uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberg verderben’ (Hld 2,15), Melchior Franck/Leonhard Lechner
Von zeitgenössischen Autoren wird tradiert, daß junge Mädchen an bestimmten Tagen in die Weinberge gezogen sind, um dort mit ihren Begleitern zu feiern. Auf diesen Festen sollen Lieder des Hohelieds gesungen worden sein. Der ‘Fuchs’, insbesondere der ‘junge Fuchs’, ist in der altägyptischen Liebeslyrik eine Metapher für einen gierigen Liebhaber und Schürzenjäger. Der an mehreren Stellen besungene ‘Weinberg’ steht als Bild für die Frauen selbst.

2. ‘…deine Augen sind wie Taubenaugen’ (Hld 4,1), Leonhard Lechner
Die wörtliche Übersetzung der hebräischen Fassung heißt ‘deine Augen sind Tauben’. Die Taube, das Totemtier der Aphrodite, wurde als Liebesbotin verehrt, auch in Indien war die Taube, paravata, das Symbol der Lust. Tauben sind ein uraltes Symbol für Fruchtbarkeit und erscheinen an vielen Stellen in der Dichtung des Hoheliedes. Die Christen übernahmen die weibliche Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Eine Taube kam bei Jesu Taufe auf ihn herab, und sie befruchtete seinen Geist (Matthäus 3,16). Die oben zitierte Metapher meint in etwa: deine Blicke senden Liebesbotschaften.

Häufig werden auch die Tierbilder ‘Gazelle’ und ‘Hirsch’ zur Beschreibung der Liebenden verwendet. Sie waren die traditionellen Begleiter der Liebesgöttinen.

Das Hohelied im Zeichen der Musikgeschichte

Unser Programm spiegelt den stilistischen Wandel in der Vokalmusik im Verlauf des 17. Jahrhunderts wider. Ausgehend von der alten Art kontrapunktischer Chorpolyphonie, für die der Name Lechner steht und die a capella musiziert wurde, über verschiedene, sich im Stil mischende Kompositionen – repräsentiert durch die Werke Francks und Schütz’ – bis hin zur durch den Genaralbaß begleiteten Monodie entstehen Kantaten für Soli und Chor, begleitet von Instrumenten und Basso continuo.
Wie sehr dabei das Hohelied gerade unter Komponisten des 17. Jahrhunderts beliebt war, beweist die große Anzahl der Vertonungen, die in dieser Zeit entstanden. Um 1600 war es allgemein üblich, Texte des Hoheliedes zu ‘hochzeitlichen Ehren’ zu komponieren.

Lechners ‘Hohelied Salomonis’ und die Motetten Francks entstanden der eingangs erläuterten Mode folgend höchstwahrscheinlich zu Hochzeitsereignissen im Familien- oder Freundeskreis der Komponisten (entsprechendes gilt für ‘Stehe auf meine Freundin’ von Schütz).
Auffällig ist die wechselseitige Beeinflussung der befreundeten Zeitgenossen. Die madrigalesken Tonmalereien und Affekte in den Hoheliedmotetten Melchior Francks und Leonhard Lechners zum oben erläuterten Motiv ‘Fahet uns die Füchse’ entsprechen sich. Beide zählen zugleich zum Kreis der wichtigsten Wegbereiter der neuen deutschen Motettenkunst im 17. Jahrhundert.

Heinrich Schütz war die prägende Gestalt der deutschen, vor allem protestantischen Musikkultur des 17. Jahrhunderts und ihr Bewahrer in den Zeiten der Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs. Ein Stipendium des Landgrafen Markus von Hessen ermöglichte dem jungen Komponisten ein dreijähriges Studium bei Giovanni Gabrieli in Venedig. Hier lernte Schütz den strengen kontrapunktischen Satz und erhielt Impulse für das räumliche Musizieren (Doppel- und Mehrchörigkeit).
Seine italienischen Madrigale (1611) sind diesen Jahren ebenso zu verdanken wie die späteren ‘Cantiones Sacrae’, die 1625, im Todesjahr seiner Frau Magdalene, entstanden und insgesamt vierzig lateinische Chorsätze umfassen. ‘Cantiones Sacrae’ war die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übliche Bezeichnung für lateinische Motetten.
Mag Schütz seine Komposition auch dem Katholiken Hans Ulrich Freiherr von Eggenberg und damit den Interessen der Religionsgemeinschaft des Fürsten gewidmet haben, so schuf er sie jedoch zugleich für einen überkonfessionellen Gebrauch – nicht für den großen Raum einer repräsentativen Kirche oder den liturgisch geordneten Kirchendienst einer Hofkapelle, sondern als geistliche Kammermusik für Aufführungen in anpruchsvollem Hause.

Die musikalische Struktur der von uns gesungenen Teile XI und XII der Cantiones Sacrae erinnert an die oben bereits erwähnten italienischen Madrigale. Die oft gegensätzlich angelegten musikalischen Motive sind wie die Dichtung des Hoheliedes selbst von großer Bildhaftigkeit. Um einer deutlichen und ausdrucksvolleren Gliederung bzw. einer besseren Diktion willen veränderte Schütz in Teil XII den Originaltext des Hoheliedes (4,9). Indem er die Worte ‘soror mea sponsa’ durch ‘filia carissima’ ersetzt, erreicht er einen musikalisch wie sprachlich größeren Kontrast zu dem Anfangsmotiv ‘Vulnerasti cor meum’.

Die für Pfingsten bestimmte Kantate ‘O qualis de coelo sonus’ (Sopran: Doerthe Sandmann) von Georg Friedrich Händel entstand im Jahre 1707 während des ersten längeren Italienaufenthalts des Komponisten. Der Verfasser des Textes ist unbekannt.

Das Programm schließt mit der von dem Lübecker Organisten Dietrich Buxtehude komponierten Passionsmusik ‘Membra Jesu nostri’.
Ähnlich wie Kreuzwegandacht oder die Betrachtung der Letzten Sieben Worte erfreute sich auch die Verehrung der verletzten Gliedmaß und in diesem Zusammenhang die Verbindung des Passionsgedanken mit dem Liebesthema bei Katholiken wie Protestanten großer Beliebtheit.
In zwei des aus sieben Kantaten bestehenden Zyklus kombiniert Buxtehude mittelalterliche Hymnentexte aus der ‘Rhytmica Oratio’ mit Motiven des Hoheliedes. Die von uns aufgeführte Kantate Nr. 4 ‘Ad latus’ bildet das Herzstück des in seiner Form symmetrisch aufgebauten Gesamtwerks.



Das 4. Projekt des Kronenchors