de tempore



Chormusik von Brahms, Cornelius, Wolf, Reger und Eben


Die Konzerte dieses Projekts fanden im März 1998 in der Marienkirche in Berlin-Mitte statt. Eines der beiden Konzerte war dabei eine Eigenveranstaltung des Kronenchors, das zweite ein Benefizkonzert zugunsten der Restaurierung der Joachim-Wagner-Orgel in St. Marien.

Die Orgel wurde in den Jahren 1719 bis 1721 von Joachim Wagner, dem ‘Märkischen Silbermann’, mit 40 Registern auf drei Manualen und Pedal als sein Meisterstück erbaut.
Im 19. Jahrhundert wurde sie mehrfach in klanglicher und technischer Hinsicht verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Restaurierung durch die Orgelbaufirma Schuke (Potsdam).

Bei der Eigenveranstaltung des Kronenchors spielte Gulnora Karimova die Orgelstücke, die auch im Text des Programmhefts genannt werden. Im Benefizkonzert spielte die Kantorin der Marienkirche, Martina Kürschner, an dieser Stelle Improvisationen über die Texte der vom Chor gesungenen Stücke.


Das Programm

Petr Eben
De circuito aeterno
für gemischten Chor a cappella
Text: Buch der Prediger 1, 4-9

Max Reger
Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit
aus: ‘Acht geistliche Gesänge’ op. 138, Nr 1 für gemischten Chor a cappella
Text: Matthias Claudius

Max Reger
Introduktion und Passacaglia d-moll für Orgel

Johannes Brahms
Warum ist das Licht gegeben
aus: ‘Zwei Motetten’ op. 74, Nr. 1, für gemischten Chor a cappella

Petr Eben
Finale
aus: ‘Sonntagsmusik’

Hugo Wolf
Letzte Bitte
aus: ‘Sechs geistliche Gesänge’, Nr. 4, für gemischten Chor a cappella
Text: Joseph von Eichendorff

Peter Cornelius
Requiem
‘Seele, vergiß sie nicht’ für gemischten Chor a cappella
Text: Friedrich Hebbel



Hier ein Auszug aus dem damaligen Programmheft:
‘De tempore’, von der Zeit, vom Leben und Sterben, vom Werden und Vergehen handeln Musik und Texte in diesem Konzert des Kronenchors. Geschildert wird die Perspektive des Menschen mit seiner Furcht, seiner Hoffnung, seinem Glauben oder Zweifel angesichts des Todes. In den Vertonungen finden auch sehr persönliche und schicksalhafte Erfahrungen der Komponisten und Dichter mit diesen Fragen ihren Ausdruck.

Im Mittelpunkt des Konzertes stehen Werke der Romantik, ergänzt um zwei Kompositionen des 1929 geborenen tschechischen Komponisten Petr Eben. Für ihn soll Musik vor allem eine humane Botschaft übermitteln. Seine tiefe Gläubigkeit und die Kriegserlebnisse seiner Jugendzeit, in der er zwei Jahre lang im Konzentrationslager Buchenwald interniert war, sind die Wurzeln dieser Überzeugung und der Hintergrund für die Komposition liturgischer Musik, der sich Eben auch in Zeiten des totalitären Regimes viel widmete.

‘De circuito aeterno’ (Vom ewigen Kreislauf) komponierte Eben für ein Seminar über zeitgenössische Chormusik, das 1991 in Irland stattfand. Der vertonte Text stammt aus dem Buch Prediger des Alten Testaments und spricht über das sich immer wiederholende Werden und Vergehen alles Irdischen. Dieser Kreislauf wird auch in Ebens Musik hörbar: Bei dem in allen Stimmen immer wiederkehrenden melodischen Motiv ‘durchkreisen’ Quint- und Quartintervalle unaufhörlich den Oktavraum.
Die erste Orgelsuite von Petr Eben, ‘Sonntagsmusik’, entstand 1958. Das ‘Finale’ daraus handelt symbolisch von dem inneren Kampf des Menschen gegen das Böse. Am Ende steht ein gregoriansicher Hymnus, ‘salve regina’, der den Sieg des Guten verkündet.

Max Regers (1873-1916) kompositorisches Werk ist ebenso umfangreich wie vielschichtig und umfaßt, mit Ausnahme der Oper, alle Gattungen seiner Zeit. Bekannt ist Reger vor allem durch seine Orgelwerke, die zum Teil äußerst komplex angelegt sind, unter denen sich aber auch schlichte Choralvorspiele finden. Ausgehend von tradierten Kompositionstechniken entwickelte Reger seinen unverkennbar eigenen Stil, der sich schwer zwischen Romantik und Moderne einordnen läßt. Dies verdeutlicht das Urteil seiner Zeitgenossen. Den einen galt Reger als einer der herausragenden Vertreter der musikalischen Moderne, für die anderen war er gerade ein Gegenpol zu der als zersetzend gescholtenen Moderne.
Den Chorkompositionen hat Reger einen wichtigen Platz eingeräumt. Die satztechnisch schlichten, aber ausdrucksstarken ‘Acht geistlichen Gesänge’, op. 138, sind im September 1914 als eines seiner letzten Werke entstanden. Der sich in Regers später Schaffensperiode vollziehende stilistische Klärungsprozeß zu einer melodisch wie harmonisch klaren musikalischen Aussageweise wird hörbar. Der achtstimmige Eingangschor ‘Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit’ wird nicht, wie es eigentlich der Tradition entspräche, in alternierende Halbchöre geteilt, sondern ist in einem kompakten Satz komponiert. Die Vertonung des Gedichtes von Matthias Claudius ist symbolisch für Regers Leben und Sterben. Das Komponieren war elementarer Bestandteil seines Lebens, und die Furcht, nicht alles niederschreiben zu können, bedrängte ihn sehr. So schreibt er in einem Brief an Edith Mendelssohn-Bartholdy: ‘Denken Sie an Mendelssohn, an Mozart, Schubert, an Wolf! Uns wird nicht viel Zeit gelassen, und ich muß mein Werk fertig haben’.
Die ‘Introduktion und Passacaglia’ für Orgel in d-moll schrieb Reger 1899. Das Werk war bestimmt für ein Album von Orgelstücken, mit dessen Erlös der Kauf eines neuen Orgelwerks in Schönberg/Taunus unterstützt werden sollte. Nach einer kurzen Einleitung entfaltet sich die musikalische Entwicklung über einer ostinat wiederholten Baßfigur.

Aus Johannes Brahms’ (1833-1898) umfangreichen kompositorischen Schaffen gingen auch zahlreiche a cappella Chorwerke hervor. Mehr als andere Komponisten seiner Zeit folgte Brahms (vor allem in seinen früheren Werken) den strengen kontrapunktischen Traditionen alter Meister. Das wird auch in der 1878 entstandenen Motette ‘Warum ist das Licht gegeben’ (aus: Zwei Motetten op. 74 Nr. 1) deutlich. Brahms greift dabei auf das musikalische Material einer unveröffentlichten Messe in C-Dur aus dem Jahre 1856 zurück und erweitert den Chorsatz auf bis zu 6 Stimmen. Den vier Teilen der Motette wurden vier unterschiedliche Texte zugrundegelegt (Hiob 3, Klagelieder Jeremiä 3, Jakobusbrief 5, Lutherlied ‘Mit Fried und Freud’), die inhaltlich die seelische Wandlung des Hiob beschreiben, welcher verzweifelt jeglichen Lebensmut verloren hat, schließlich aber Hoffnung findet in seiner Erlösung durch den Tod.

Hugo Wolf (1860-1903), extrem und kompromißlos veranlagt, konnte sich Autoritäten nur schwer unterordnen und hatte nie für längere Zeit eine feste Anstellung und sichere Einkünfte. Auf der anderen Seite hatte er viele Bewunderer und fand immer wieder Mäzene, mit denen er sich zum Teil wieder überwarf. Seine Stimmungen schwankten sehr. So komponierte er stoßweise und exzessiv, vernichtete aber auch vieles wieder. Wolf lebte in Wien zu Zeiten des Meinungsstreits zwischen den ‘reaktionären’ Brahms-Anhängern und den als ‘progressiv’ geltenden Wagnerianern. Er selbst zählte sich zur ‘Avantgarde’ und verehrte Wagner.
Bekannt ist Wolf vor allem für seine Klavierlieder, auf die er neue musikdramatische, von Wagner inspirierte, Ausdrucksformen übertragen hat. Im März 1881 komponierte Hugo Wolf sechs geistliche Lieder für gemischten Chor nach Gedichten von Joseph von Eichendorff. Sie bilden einen Zyklus in Form einer nächtlichen Meditation von unendlich trauriger Stimmung. Die Titel sind ‘Aufblick’, Einkehr’, ‘Resignation’, ‘Letzte Bitte’, ‘Ergebung’ und ‘Erhebung’ und wurden von Wolf selbst bestimmt. Das Flehen um Erlösung und Frieden wird in ‘Letzte Bitte’ durch harmonische Modulationen mit großer Intensität ausgedrückt. Der Zyklus steht vermutlich im Zusammenhang mit der unglücklichen Liebe Wolfs zu Wally Franck, die den 21 Jahre alten Komponisten nach dreijähriger Beziehung verließ.

Peter Cornelius (1824-1874) war mit seinen Zeitgenossen Liszt, Wagner und Berlioz freundschaftlich verbunden. Nach dem Studium in Berlin ging er 1852 nach Weimar zu Liszt, wo er in der ‘Neuen Zeitschrift für Musik’ einer der eifrigsten Vorkämper der Neudeutschen Schule wurde. Cornelius wurde durch seine Weihnachtslieder op. 8 (1856) bekannt. 1865 folgte er Wagner nach München und fand dort eine Anstellung als Kompositionslehrer an der neu gegründeten Königlichen Musikschule. Cornelius schrieb fast ausschließlich Vokalmusik; dies mag in seiner Doppelbegabung als Dichter und Musiker begründet liegen.
Unter dem Eindruck des Todes des befreundeten und von ihm sehr verehrten Dichters Friedrich Hebbel vertonte Cornelius 1863 dessen Gedicht ‘Requiem’. Er überarbeitete das Werk im Sommer des Jahres 1872, konnte sich aber nicht zur Veröffentlichung dieser wohl persönlichsten seiner Kompositionen entschließen. In dem für sechsstimmigen Chor komponierten ‘Requiem’ herrscht der homophone Satz vor. Hauptausdrucksmittel ist eine von vielen schmerzlichen Vorhaltsbildungen und Modulationen geprägte Harmonik.



Das 9. Projekt des Kronenchors