anima mea



Das Programm:
Vic Nees: Magnifikat
Maurice Duruflé: Quatre Motets
Francais Poulenc: Motetten
Jean Langlais: Ave mundi gloria, O salutaris hostia


Französische und deutsche Musik gingen, von vergleichbaren Ausgangspunkten her kommend, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedliche Wege. Während in Deutschland die Avantgarde sich endgültig vom breiten Publikum verabschiedete oder in der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung zu einem oft staubtrockenen Akademismus gelangte, wurde in Frankreich eine musikalische Erfolgsgeschichte geschrieben. Das problematische Erbe der ebenso tiefsinnigen wie schwergewichtigen “typisch deutschen” Musik von Beethoven bis Wagner, aber auch die impressionistische französische Musik wurden in Frage gestellt. Wo waren hier noch Entwicklungsmöglichkeiten, unerprobte Steigerungsformen? Musste Musik so klingen, so ernst, so beladen mit metaphysischen Inhalten, blechgepanzert und humorlos? War es ein gangbarer Ausweg, dieser Musik eine aufs Äußerste differenzierte Klanglichkeit entgegenzusetzen, eine übersteigerte Empfindsamkeit, die sich an Naturbildern, an Erinnerungen und sublimsten Empfindungen entzündete, wie es der Impressionismus Debussys versucht hatte? War es nicht möglich, dem etwas anderes entgegenzusetzen, eine hörbare Musik, die gesanglich sein konnte, ohne in Sentimentalität zu fallen, die man mindestens ebenso verabscheute wie den auftrumpfenden Tiefsinn? Warum nicht anknüpfen an das, was man als spezifisch französische Eigenschaften empfand, Witz, Esprit, Virtuosität, Eleganz, Klanglichkeit?
Die Musik Poulencs (1899-1963), Duruflés (1902-1986) und nicht weniger anderer Komponisten Frankreichs ist eine Antwort auf diese Fragen: Farbig, aber klar; melodiös, ohne trivial zu sein; wirkungsvoll, ohne nur den Effekt im Auge zu haben; originell, ohne gewollt zu sein. Gerade die Chormusik spiegelt diesen Geist wider: Sie ist Musik für eine Gemeinschaft, die nicht eine Sekte sein will, sondern offen für gute Ideen und ausbaufähige Traditionen ist. Weit tragende gregorianische Melodien sind ebenso willkommen wie artifizielle lateinische Dichtung; beide bereichern das Sprach- und Ausdrucksrepertoire. Modale Harmonik und avantgardistische Zusammenklänge werden integriert, wo sie verstanden und nachvollzogen werden können, wo sie durch den Text und den musikalischen Ausdruck gerechtfertigt sind; sowohl die Rolle des Museumswärters wie die des Bürgerschrecks mochte man nicht mehr spielen. Und diese Tradition lebt bis heute: Der Belgier Vic Nees (geboren 1936), ausgesprochener Chorkomponist und -dirigent, konfrontiert avantgardistische Techniken mit mittelalterlichen Verfahrensweisen aus dem Repertoire des 13. Jahrhunderts; er greift zurück auf Fugentechniken des 18. Jahrhunderts und integriert das ganze in ein Werk von großer Farbigkeit, von einer Unmittelbarkeit des Ausdrucks und positiver Gesamtstimmung. Es ist Musik unserer Zeit, der das Verbissene, die aggressive Selbstsicherheit und die kulturelle Überheblichkeit abhanden gekommen sind.



Das 17. Projekt des Kronenchors